Arijit Bhattacharyya
Ruckhaberle-Förderpreisträger 2024
Arijit Bhattacharyya, Man Peed on his pants while doing Nazi Salute – Germany 1992, Zeichnung aus der Serie: Die Nacht des langen Schweigens, 2024
Der Künstler Arijit Bhattacharyya wird mit dem Ruckhaberle-Förderpreis 2024 ausgezeichnet.
Jurystatement:
„Die Jury ist beeindruckt von der künstlerischen Kraft und der inhaltlichen Tiefe seines Projekts Die Nacht des langen Schweigens. Die Rauminstallation ist ein eindringliches Essay über Formen des Erinnerns und Vergessens, über museale Objekte und Ordnungen – und über das immer wiederkehrende transnationale, faschistische Begehren nach ethnischer Reinheit von Körpern und Ideen.
In seinen kleinformatigen Zeichnungen setzt sich Arijit Bhattacharyya mit Landschaften der Gewalt, Szenen der Verrohung, rechtsextremen Übergriffen und trauernden Angehörigen der Opfer auseinander. Seine leuchtend farbigen Darstellungen erinnern in ihrer unmittelbaren Intensität an traumatherapeutische Bilder. Sie thematisieren unter anderem die rassistischen Ausschreitungen der Nachwendejahre und die NSU-Mordserie. Bhattacharyya betrachtet Objekte aus kolonialer Raubkunst, wie sie in Museen wie dem Humboldt Forum zu finden sind, nicht losgelöst von solchen gewaltvollen Verflechtungen.
Darüber hinaus erweitert er seinen Fokus auf globale Dimensionen von Gewalt und Ideologie, indem er die komplexe Geschichte der transkulturellen Beziehungen zwischen dem Nationalsozialismus und dem bis heute einflussreichen indischen Hindu-Nationalismus beleuchtet. Im postnationalsozialistischen Deutschland scheuen sich seine Arbeiten nicht, aufzuzeigen, wie Heinrich Himmler von Yoga und der Bhagavad Gita fasziniert war, oder wie Madhav Sadashivrao Golwalkar, Anführer einer rechtsgerichteten, hindu-nationalistischen paramilitärischen Organisation, in seinem Denken der NS-Ideologie nahestand.
Besonders überzeugte die Jury die räumliche Umsetzung seines Projekts: Bhattacharyya erweitert seine Serie von Zeichnungen durch museale Objekte – ausgestopfte Tiere, gefundene Artefakte, Briefe – sowie durch einen eindringlichen Audiokommentar, der uns als Museumsbesucher*innen auffordert, am Prozess des
kritischen Erinnerns teilzuhaben und uns essenzielle Fragen zu stellen: Erinnern wir uns an das, was wir erinnern müssen? Wird sich Deutschland erinnern an jene, die es so verzweifelt vergessen möchte?
Die Nacht des langen Schweigens hat uns tief bewegt, in ihrer kritischen Zeugenschaft, die Persönliches und Politisches auf fragmentarische und dennoch präzise Weise miteinander verbindet.“
Geboren in Bally, Westbengalen, lebt Arijit Bhattacharyya heute in Weimar, Thüringen. Er verbindet in seiner Praxis Installation, Textilkunst, Zeichnung, Malerei, Film, Performance und Kulinarik. Seine Arbeiten untersuchen historische Erzählungen, ökologische Verflechtungen und Machtstrukturen, während sie anthropozentrische Paradigmen hinterfragen und alternative, widerständige Systeme entwerfen. Er untergräbt etablierte Machtverhältnisse und schafft durch kollektive Zusammenarbeit Räume für kritische Reflexion und Dialoge, die hegemoniale und kapitalistische Prägungen der globalen Realität beleuchten. Arijit ist Absolvent der Bauhaus-Universität Weimar und der Maharaja Sayaji Rao University of Baroda.
Die Jury des Ruckhaberle-Förderpreises 2024 besteht aus:
Kaya Behkalam, Künstler und Vorstand Künstlerhof Frohnau e.V.
Gürsoy Doğtaş, Kurator und Autor
Rike Frank, Geschäftsführerin des Berliner Programms Künstlerische Forschung
Johanna M. Keller, Programmbeauftragte der Akademie der Künste, Berlin
Dr. Sabine Ziegenrücker, Leiterin des Fachbereichs Kunst und Geschichte Reinickendorf