Anna Scherbyna & Uliana Bychenkova
Ruckhaberle-Förderpreisträgerinnen 2022
Anna Scherbyna & Uliana Bychenkova auf dem Künstlerhof Frohnau (c) Kaya Behkalam
Die Künstlerinnen Anna Scherbyna und Uliana Bychenkova sind von einer Fachjury als diesjährige Preisträgerinnen des Dieter-Ruckhaberle-Förderpreis ausgewählt worden. Die ukrainischen Künstlerinnen, die eine offene künstlerische Praxis verfolgen und ihre Arbeiten zu gemeinschaftlichen kuratorischen Projekten verbinden, werden im Rahmen des Förderpreises miteinander kooperieren. Der Förderpreis umfasst eine Residency im Künstlerhof Frohnau und eine Ausstellung in der GalerieETAGE im Museum Reinickendorf.
Zur Begründung heißt es von der Jury:
Wenn Kunst mehr zeigen kann als die Nachrichten: Über lange Dauer hinweg verfolgen die Künstlerinnen Anna Scherbyna und Uliana Bychenkova politisches Zeitgeschehen in ihrer jeweils eigenen Praxis und in Zusammenarbeit miteinander. Sie verbinden einen genauen, feministisch geprägten Blick auf die Realitäten, die sie umgeben, mit einer besonderen kommunikativen Fähigkeit, vielschichtige Situationen zu erschließen und in Kunstwerken, kuratorischen Projekten und partizipatorischen Workshops eindrücklich zu vermitteln. Die Orte und Mittel des Zeigens von Kunst und Geschichte behandeln sie dabei nicht als neutrale Gegebenheiten. Über viele Jahre ist die fortwährende Auseinandersetzung mit den Formen und Sprachen der Museologie und örtlicher Geschichtsschreibung Teil ihrer Praxis. Ihr Vokabular umfasst hart konfrontative genauso wie surreal entgrenzte Formen der Inszenierung von (und Intervention in) Ausstelllungen. Sie schöpfen somit durchgehend aus den Möglichkeiten von Kunst, Wirklichkeiten nicht allein abzubilden, sondern in ihrer Darstellung so zu verwandeln, dass Veränderung im Handeln vorstellbar wird. Seit mit der Annexion der Krim 2014 der kontinuierlich andauernde Krieg in der Ukraine begann, den die russische Armee nun auf das ganze Land ausgeweitet hat, begleiten und bezeugen Scherbyna und Bychenkova dessen Folgen künstlerisch politisch, in Werkreihen und öffentlichen Manifestationen, die mit Nachdruck die Permanenz und Langzeitwirkung des Kriegs bewusst machen.
Anna Scherbyna und Uliana Bychenkova werden während ihres Aufenthalts im Künstlerhof Frohnau im August und September 2022 an Themen arbeiten, die sich kritisch mit der ambivalenten Visibilität auseinandersetzen, die mit dem Flüchtlingsstatus einhergeht: “As white female cultural workers from Ukraine, we suddenly found ourselves in a situation of positive discrimination: unlike our male colleagues and many other Ukrainian professionals of all genders, we are welcomed guests in residences and grant programs. We would like to work on a curatorial exhibition project reflecting on our (and our colleagues as well) new rational or irrational experiences of the current time. Bureaucratical, political, emotional aspects of the experience we faced resulting in uncertain awaiting, responsibility, solidarity, guilt, and rage.”
Der Dieter-Ruckhaberle-Förderpreis wird seit 2019 vom Fachbereich Kunst und Geschichte Reinickendorf gemeinsam mit dem Künstlerhof Frohnau e.V. vergeben. Es werden Künstler*innen ausgezeichnet, die politische und soziale Themen bearbeiten und dafür innovative Formen finden. Der Preis umfasst einen zweimonatigen Aufenthalt auf dem Künstlerhof Frohnau, ein Produktionsbudget sowie eine Ausstellung in einem Ausstellungsraum des Bezirks Reinickendorf.
Die diesjährige Jury bestehend aus Rike Frank (Kuratorin, Geschäftsführerin des Berliner Förderprogamm Künstlerische Forschung), Solvej Helweg Ovesen (Kuratorin, Kulturwissenschaftlerin, Galerie Wedding–Raum für zeitgenössische Kunst), Setareh Shahbazi (Künstlerin, Team des Künstlerhof Frohnau), Jan Verwoert (Kunstkritiker, Kurator , Professor für Kunst und Theorie an der Oslo National Academy of the Arts) und Dr. Sabine Ziegenrücker (Leiterin des Fachbereich Kunst und Geschichte Reinickendorf) haben einstimmig Anna Scherbyna und Uliana Bychenkova als Preisträgerinnen nominiert.
Die Preisträgerinnen wurden aus einem Pool nominierter Künstler*innen ausgewählt. Zu den Nominator*innen zählten: Lynhan Balatbat-Helbock, Suza Husse, Petrit Halilaj, Jörg Heiser, Judith Hopf, Antje Majewski, Josephine Pryde, Natascha Sadr Haghighian, Sandra Teitge, und Raul Walch.
Anna Scherbyna (geboren 1988, Zaporizhia/Ukraine), Künstlerin, Illustratorin, Kuratorin, studierte zeitgenössische Kunst in Kiew. Sie ist Mitbegründerin des Concrete Dates Collective (2015-2017) und Nominierte des Pinchuk Art Centre Preises 2020. Sie arbeitet in verschiedenen Formaten, darunter Malerei, Zeichnung, Video und Installation, zu Themen wie Landschaft (in Bezug zu Macht und Krieg), Gender-Performativität sowie der kritischen Revision des sozial-realistischen Erbes. Sie hat an zahlreichen Ausstellungen teilgenommen, darunter “A Space of One’s Own”, Pinchuk Art Center, Kiew (2017), “Edenia, the city of the future”, Kharkiv (2017), “Socialist Realism. Seeming to Be Another”, Kiew (2017), “TEXTUS. Embroidery, textile, feminism”, Kyiv (2017), “In a shelter”, Paris (2015). Als Teilnehmerin verschiedener kuratorischer Initiativen organisierte sie die Ausstellungen “The Cave of the Golden Rose”, Kiew (2019) und “Sabber, Deer and Spining Wheel”, Stanica Luhanska (2018).
Uliana Bychenkova (geboren 1986 in Kertsch/Ukraine) ist Künstlerin, Kuratorin, Buchgestalterin und Forscherin. Sie konzentriert sich in ihrer Praxis auf Themen wie: Machtverhältnisse und Asymmetrien symbolischer Macht; der Status der dekorativen und angewandten Kunst; sowie die Reflexion über die Prekarität und politisierende Faulheit. Als Methoden praktiziert sie feministische künstlerische Forschung, Überschneidungen von Disziplinen, strategische Vorstellungskraft und taktische Erfindungen, die durch eine Vielzahl von Medien formalisiert werden. Als Designerin arbeitet sie hauptsächlich mit Buchprojekten im Bereich Kultur und Kunst. Sie hat mit dem Visual Culture Research Center (Kiew), dem Medusa Verlag (Kiew), IST Publishing (Charkiw), Art Arsenal (Kiew), dem Ukrainischen Institut (Kiew), der Freien Universität (Berlin), der Universität Potsdam (Potsdam), der Technischen Universität Dresden (Dresden) und der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) zusammengearbeitet.
Websites: www.scherbynaanna.com und www.ulianabychenkova.com